Gedenkstätte Synagoge

Die Gedenkstätte am Ort der zerstörten Synagoge
Von Helga Dieter / Nach der Befreiung von der Nazi-Barbarei ging es in der Politik und Gesellschaft vordergründig um die »Aufarbeitung der Vergangenheit«. Das war häufig eine Schönfärberei. Obwohl es auch in Rödelheim über 30 Jahre gedauert hat bis eine kleine Gruppe, zuvorderst die Pfarrer und die Pfarrerin der Cyriakusgemeinde, ein Mahnmal initiierte, war das im Vergleich zu anderen Orten ungewöhnlich früh und vorbildlich. Auch die katholische Gemeinde und örtliche Parteien (SPD, DKP) beteiligten sich an der Finanzierung der Stele aus Sandstein.

Foto: Angela Kalisch

Am 8. November 1979 wurde der Gedenkstein im Brentanopark an der Stelle enthüllt, wo früher die Synagoge stand. Oben auf einer roten Sandstein-Säule zeigt ein Fries Menschen, die eng gedrängt in die Gaskammern getrieben werden. Auf einer Seite ist – höchst ungewöhnlich – in die Stele das Eingeständnis der Täterschaft bzw. ein Schuldbekenntnis eingraviert:

»Wir ließen zu, dass aus unserer Mitte jüdische Bürger
in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden«

Inschrift am Mahnmal

Das ist schmerzlich und viele wollen die Verantwortung verdrängen. Dieses Bedürfnis birgt die Gefahr der Schönfärberei und Harmonisierung in sich. Schon kurz nach der Einweihung wurde das Denkmal von Unbekannten beschädigt. Die Initiatoren ließen die verletzten Figuren nicht ausbessern, sie wurden als Teil der Mahnung erhalten. An diesem Ort finden seit 45 Jahren Gedenkstunden zu den Zerstörungen in der Pogromnacht und zur Befreiung von Auschwitz statt.

Die inhaltliche Planung und Gestaltung hat die Friedensinitiative übernommen, die zur Vorbereitung ein breites Spektrum von Repräsentanten der örtlichen Gruppen einlädt. So manches Jahr gab es Kon­troversen, wenn vorgeschlagene Texte Bezüge zur Gegenwart enthielten. Manche Vertreter konservativer Organisationen wollten zwar auch die Nazi-Verbrechen benennen und beklagen, aber eher als einen »aufgearbeiteten«, abgeschlossenen Abschnitt der Geschichte. Sie lehnten historische Bezüge zu Verbrechen der Neo-­Nazis als »Nestbeschmutzung« ab, manche blieben den Gedenkstunden fern. Doch mit den klaren Positionen gegen Neo-Nazi-Parolen und Alltagsrassismus kamen wieder mehr junge Menschen zu den Gedenkfeiern.
Das Nachbarschaftszentrum Centro ist zusammen mit der Rödelheimer Friedensinitiative und anderen ebenso an der Organisation von Gedenkveranstaltungen am Mahnmal der Synagoge beteiligt. Dabei liegt der Fokus darauf, das Gedenken an nationalsozialistische Verbrechen mit dem Engagement gegen extreme Rechte heute zu verbinden und beispielsweise mit dem Anschlag von Halle oder der Schändung des Mahnmals vor einigen Jahren zu verknüpfen.

Sichtbarmachung
Im Rahmen der historisierenden Neugestaltung des Brentanoparks plante der Heimat- und Geschichtsverein den Grundriss der Synagoge, wie schon beim Rödelheimer Schloss, durch kleine Mäuerchen nachzubauen. Da das Mahnmal nicht zum historischen Bauwerk der Synagoge gehöre und auch noch knapp neben dem abgesteckten Grundriss der Synagoge liege, war es nicht eingeplant und landete im Abseits. Für viele engagierte Rödelheimerinnen war das Mahnmal mit seinem Schuldbekenntnis aber der wichtigste Teil der kleinen Gedenkstätte. Das war ein handfester Konflikt! Über ein Jahr lang diskutierten engagierte Bürgerinnen am »Runden Tisch« mit vielen Ecken und Kanten. Nicht nur intern sondern auch in einem Zeitungsinterview plädierten die Verantwortlichen des Heimat- und Geschichtsvereins dafür, den Schwerpunkt der Erinnerung stärker auf die 800 Jahre »gedeihlichen Zusammenlebens« im liberalen Rödel­heim zu legen als auf die 12 Jahre der jüdischen Leidensgeschichte.

Foto: Heimat- und Geschichtsverein

Diese Form der Erinnerung stieß auf heftigen Widerstand, insofern sie eher dem Vergessen als der Verantwortung den Boden bereite. Nach diesen sachlichen Differenzen und emotionalen Wallungen kam schließlich doch ein akzeptabler Kompromiss zustande. Das Mahnmal wurde Mittelpunkt der neu gestalteten, kleinen Gedenkstätte, die am 6. November 2015 mit städtischer Prominenz und dem Rabbi der Jüdischen Gemeinde feierlich eingeweiht wurde.

Die Schändung der Gedenkstätte
Ein Jahr nach der Neugestaltung der kleinen Gedenkstätte, nur wenige Tage vor der jährlichen Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht, haben Unbekannte das Mahnmal beschmiert: »Juden sind Verbrecher«. Einige »Antifas« aus der autonomen Szene in Rödelheim entdeckten dies als Erste und verhüllten die Schmierereien mit weißen Tüchern. Der Heimat- und Geschichtsverein erstattete Anzeige und war später enttäuscht darüber, wie schnell die Polizei die Suche nach den Tätern beendete.
Der Verein »Courage gegen Rassismus« initiierte einen Aufruf, der in wenigen Tagen von 20 örtlichen Initiativen, Vereinen und Parteien inhaltlich abgestimmt und unter-zeichnet wurde, auch von fast allen Fraktionen im Ortsbeirat. Nur die örtliche CDU beteiligte sich nicht an der gemeinsamen Erklärung.

Foto: Angela Kalisch

Der Text des Aufrufs »Gemeinsam gegen Nazis« knüpft an der Mission des Mahnmals an:
»Im Frankfurter Stadtteil Rödelheim herrscht eine von vielen unterschiedlichen Gruppen und Menschen getragene Stimmung: Hier sind wir wachsam und wehren uns gegen das Schüren von Hassparolen und Menschenverachtung. Dennoch oder gerade deswegen wurde die Gedenkstätte an die ermordeten Nachbarn am Ort der zerstörten Synagoge geschändet. Wir sind schockiert, aber entmutigen lassen wir uns nicht. Im Gegenteil! Die Täter haben uns gezeigt, dass wir uns gemeinsam noch stärker als bisher für ein respektvolles, gleichberechtigtes und wertschätzendes Zusammenleben aller Menschen in unserer Nachbarschaft engagieren müssen.«
In der Form ist es eine öffentliche Selbstverpflichtungserklärung: moralisch und handlungsorientiert.

Das Besondere an dem Rödelheimer Aufruf »Gemeinsam gegen Nazis« ist nicht die Empörung über antisemitische Schmierereien. Die gibt es auch anderswo. In Rödelheim haben sich aber nicht nur ­befreundete Organisationen zusammengetan, sondern auch die­jenigen, die sich im Alltag nicht »von hinten angucken« würden: vom Heimat- und Geschichtsverein bis zu den Autonomen, von der FDP bis zur Linken haben alle den gemeinsamen Vorsatz bekräftigt: Bei antisemitischen und rassistischen Angriffen stehen wir zusammen.

Bei solchen Grenzüberschreitungen treten unsere weltanschaulichen Unterschiede in den Hintergrund. Wir lassen uns nicht einschüchtern, verängstigen oder spalten. Im Gegenteil rücken wir über politische, kulturelle, soziale und altersmäßige Gräben zusammen und machen öffentlich und dauerhaft klar: Menschenrechte sind universal – auch im Alltag in Rödelheim.

Reaktionen auf die Schändung
Der Aufruf »Gemeinsam gegen Nazis« richtete sich zunächst nur an Organisationen bzw. deren Repräsentanten aus dem Stadtteil. Die äußerten in wenigen Tagen ihre Be-troffenheit und Empörung.

Eine Diskussion gab es, als der Vertreter eines Vereins den Slogan »Gemeinsam gegen Nazis« ändern wollte, weil das eine vorschnelle Verdächtigung sei, solange der Täter nicht gefunden sei. Es klang an, dass nach seiner Meinung auch muslimischer Antisemitismus der Hintergrund sein könne. Der Einwand wurde ernst genommen, aber die »Indizien« überzeugten ihn dann auch von der hohen Wahrscheinlichkeit rechtsradikaler Täter: Das Datum unmittelbar vor dem Gedenken an die Opfer der Pogromnacht an diesem Ort; die präzise Vorbereitung durch eine Schablone und dass an einem versteckten Platz, wo sich Rechtsradikale treffen, offenbar an einer Wand das Sprayen mit der Schablone schon ausprobiert worden war.

Helga Dieter und Meron Mendel vor dem Plakat am Rödelheimer Bahnhof. Foto: Angela Kalisch

Als die Erklärung der Organisationen bekannt wurde, gab es viele Nachfragen von Menschen, die den Aufruf unterstützen wollten. 650 Unterzeichnerinnen waren mit der Veröffentlichung ihrer Namen einverstanden, um ein sichtbares Zeichen zu setzen für Toleranz, Menschenwürde und Gleichwertigkeit. Doch was ist ein »sichtbares Zeichen?« Nach langen Verhandlungen mit einer großen Werbefirma, einer Spendensammlung im Stadtteil und Unterstützung der »Stiftung Citoyen« gelang es, auf dem Baruch-Baschwitz-Platz vor dem Bahnhof, wo viel Publikumsverkehr ist, eine große, beleuchtete Vitrine anzumieten. Dazu mussten wir den Hausjuristen der großen Werbe­firma noch überzeugen, dass die Aktion nicht politisch ist! Die Namen solcher Unterschriftenaktionen verschwinden meist zwischen Aktendeckeln, bestenfalls wird die Zahl in einer Presseerklärung genannt. Wenn damit eine Selbstverpflichtung verbunden ist, die namentlich längere Zeit öffentlich bekannt gegeben wird, hat das schon eine größere moralische Verbindlichkeit. In der teuren Vitrine hing für ein halbes Jahr ein großes Plakat mit dem Aufruf, den Logos aller Organisationen und 650 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern. Davor standen nun häufig Menschen, die den Text und die Namensliste studierten und darüber debattierten. Bei der feierlichen Eröffnung dieser ungewöhnlichen Ausstellung begründeten die Vertreterinnen der 20 Organisationen, warum sie die Aktion »Gemeinsam gegen Nazis« unterstützen.