Zwangsarbeit in Rödelheim

Zwangsarbeit gehörte als ein fester Bestandteil des nationalsozialistischen Systems zum Alltagsleben während des Krieges, war auch in Rödelheim keine Ausnahme und fand direkt vor der Haustür der Rödelheimer Bevölkerung statt.

Über den gesamten Stadtteil verteilt existierten mindestens 15 Lager für Zwangsarbeiter, die in mehr als 11 Betrieben ihre Arbeit leisten mussten. Insgesamt lebten und arbeiteten unter teilweise menschenverachtenden Bedingungen ca. 2000 Männer und Frauen in Rödelheim, die aus vielen europäischen Ländern, vor allem jedoch aus Polen und der Sowjetunion zur Zwangsarbeit verschleppt und gezwungen wurden.

Die meisten von ihnen arbeiteten in den Torpedo Werken in der Alexanderstraße 69. Nach unterschiedlichen Quellen waren es 170-400 Menschen, die u.a. auf dem Betriebsgelände selbst, einem Lager in der Niddagaustraße 7 (Turnhalle des Rödelheimer VFL) und im Gemeinschaftslager in der Eschborner Landstraße 20-22 (heute Arnoldshainer Straße) untergebracht waren.

Dieses Lager, dessen Eigentümer die Philipp Holzmann AG war, wurde als Gemeinschaftslager verschiedener Firmen genutzt. In der Zeit zwischen 1941-1945 lebten dort ständig 460 Personen. Es bestand aus Backstein- und Holzbaracken. Im Lager waren vor allem russische und weitere osteuropäische Frauen und Männer, sowie französische und italienische Zwangsarbeiter untergebracht. Ein Ärztebericht vom 13. Mai 1945 sagt über die Zustände im Lager: „Voll belegt mit Russen, 300 Betten, Baracken und alte Backsteingebäude. Sehr schlechter sanitärer Zustand.“

Oft waren Zwangsarbeiter auch in Gaststätten und Hotels untergebracht. In Rödelheim z.B. im Hotel „Deutscher Hof“ in der Lorscher Straße 8, wo zwischen 1941 und 1944 200 Personen leben mussten.

Auch auf dem Gelände der Körnerschule (heute Michael-Ende-Grundschule) in der Assenheimer Straße 38-40 gab es ein Lager mit russischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. In den Zeugniseintragungen dreier Schüler der Körnerschule heißt es übereinstimmend: „Treibt sich trotz Verbotes in der Nähe Gefangener herum“. Ein Schüler wagte es sogar, Lebensmittel für Gefangene zu organisieren, was zu dem Vermerk führte: „Holt trotz Verbotes Gefangenen ein.“

Zu den Betrieben in Rödelheim, in denen Zwangsarbeiter arbeiten mussten, gehörten neben den schon erwähnten Torpedo Werken u.a. die Deutsche Vereinigte Schuhmaschinenfabrik in der Westerbachstraße, die Naxos Schmirgel-Schleifwaren Fabrik in der Rödelheimer Landstraße, die Hartmann u. Braun AG (später Günther und Kleinmond) in der Eschborner Landtsraße, Hans Metz u. Co Präzisionsfabrik, In der Au 2, Phönix Armaturenwerke, Kirschbaumweg 6, oder der Gartenbetrieb Wirtz und Eicke in der Lorscher Straße.

Vom Zwangsarbeiterlager zum Lager für „Gastarbeiter“

Das ehemalige Zwangsarbeiterlager in der Eschborner Landstraße erlangte Anfang der 1970er-Jahre bundesweite Aufmerksamkeit, als der Rödelheimer Journalist und Historiker Ernst Klee in einem Fernsehbericht darauf aufmerksam machte, dass das Lager in den 1950er-Jahren fast übergangslos von einem Zwangsarbeiterlager aus der NS-Zeit in ein „Gastarbeiterlager“ der Philipp-Holzmann AG überging.

Zerstörte Bahnhofsstraße mit Blick auf die Eschborner Landstraße, wo sich das Holzmann-Zwangsarbieterlager befand.

Der Bericht machte deutlich, dass nun ca. 800 Männer als „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien, Jugoslawien, der Türkei und Griechenland auf demselben Gelände untergebracht waren. Ein fester Zaun umschloss das Lager, der Eingang wurde streng bewacht. Außenstehenden war der Zugang verboten.

Als kirchliche Vertreter und ein italienischer Priester und Sozialreformer am Nikolaustag 1970 das Lager betreten wollten, wurde ihnen der Zugang handgreiflich verwehrt.
Ernst Klee beschreibt in seinem Beitrag die Zustände im Lager. In den Baracken gab es 13 Sechs-Bett-Zimmer. Ansonsten lebten vier Männern in den 13 bis 14 qm großen Räumen. Jeder Raum war ausgestattet mit zwei doppelstöckigen Betten, einem Spind, einem Hocker und einem viertel Tisch pro Person. Das Bettzeug war blau-weiß kariert, wie in einem Gefängnis. In der Mitte des Raumes stand ungeschützt entweder ein glühender Bullerofen oder ein Ölofen. Die Böden waren aus Holz. In manchen Räumen hatten sich die Bewohner selbst einen Linoleumboden legen lassen. Für die ca. 800 Männer, die in dem Lager lebten, gab es 1971 nur acht Gemeinschaftsduschen und fünf Warmwasserhähne. Um zu den Waschräumen zu gelangen, mussten die Männer zwischen 40 und 200 Meter bei jedem Wetter ungeschützt laufen. Es gab keine Spiegel und keine Steckdosen in den Waschräumen. Auch die gemeinschaftliche Toilettenanlage lag entsprechend weit entfernt für die Bewohner des Lagers. Die Miete für die Unterkunft lag im Jahr 1971 bei 65 DM pro Person. Besuch durfte man nicht in die Unterkunft mitbringen, Bilder und Fotos aufzuhängen war untersagt.

In einem Interview erwidert ein italienischer „Gastarbeiter“, der mit seinem Sohn im Lager lebte und der bereits als Zwangsarbeiter am Ende des Krieges in diesem Lager leben musste, auf die Frage, ob er einen Vergleich zu den damaligen Bedingungen ziehen könne: „Es ist schlimmer.“

Er bezieht diese Einschätzung vor allem auf die enge Unterbringung und die Beheizung der Baracken. „Die beiden, die oben schlafen, sterben vor Hitze, die beiden die unten schlafen, sterben vor Kälte, die Kälte dringt durch den Boden.“

Der Bericht über die Unterbringung der „Gastarbeiter“ im Lager in der Eschborner Landstraße sorgte bundesweit für Empörung und führte schließlich dazu, dass sich der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann in die Diskussion um die unhaltbaren Zustände einbrachte. Seine Intervention führte letztendlich dazu, dass neue Richtlinien für Massenunterkünfte vom Bundesarbeitsminister herausgegeben wurden.

Ein von der Staatsanwaltschaft angestrengter Prozess gegen die Philipp Holzmann AG endete mit einem Freispruch mit der Begründung, dass die aufgedeckten Missstände strafrechtlich nicht fassbar seien.

Quellen:
12 Jahre Rödelheim 1933-1945, Hrsg. Gruppe Stadtteilerkundung Rödelheim, 1988 Frankfurt
Archiv der Gruppe Stadtteilerkundung in der Evangelischen Cyriakusgemeinde
Fotos:
Archiv der Gruppe Stadtteilerkundung in der Evangelischen Cyriakusgemeinde
Archiv Heimat- und Geschichtsverein Rödelheim e.V.