Stadtteil gegen Rassismus

Rödelheims neue Wahrzeichen

Das erste Straßenschild „Rödelheim – Stadtteil gegen Rassismus“ wurde 2012 am Hausener Weg installiert. Foto: Angela Kalisch

Als Anfang der 90er-Jahre in Rostock, Solingen und Moelln Häuser und Menschen angesteckt wurden, haben sich an vielen Orten Gruppen zusammengefunden, um diesen Wahnsinn zu bekämpfen, so auch die Initiative »Courage gegen Rassismus« in Frankfurt-Rödelheim. Die Gruppe war schnell beliebt und durch ihre Aktionen auch außerhalb des Stadtteils bekannt.

Ein paar dunkle Flecken unter dem Teppich
Als aus der Gruppe ein Verein wurde, wollten die Mitglieder von Courage die Arbeit im Vereinsring ernst nehmen und sich in das Stadtteil­leben integrieren. Schon nach der ersten Sitzung wandte sich am Biertisch ein Karnevalist an die Vorsitzende von Courage mit einem »Scherz«, den wir den Lesern hier ersparen wollen. Der Anwalt des »Witzbolds« bestätigte jedenfalls, dass das ganz klar Volksverhetzung sei. Verzweifelte Eltern flehten daraufhin bei »Courage« darum, keine Anzeige zu erstatten, weil dann mit Sicherheit die Karneval-Saison im Stadtteil platze. Das viele Üben der Kinder für Tanzgarde und Büttenreden konnte ja nicht umsonst gewesen sein. Es kam zu einem Vergleich mit einer angemessenen Regelung und der Witz blieb unterm Teppich. Helau!
Nach weiteren Vorfällen, bei denen eine öffentliche Debatte vermieden wurde, beschlossen die Mitglieder von Courage, nicht länger als Alibi für eine Heile-Welt-Fiktion dienen zu wollen. Künftig sollten solche Vorkommnisse öffentlich diskutiert werden. Und auf das nächste Ereignis musste nicht lange gewartet werden.

Dumme-Jungen-Streiche
Zwei Tage vor dem Nikolausmarkt 2000 veröffentlichte die FR einen langen Artikel über Angriffe von jugend­lichen Fußballspielern aus Rödelheim auf den Verein »Makkabi« der Jüdischen Gemeinde, nicht nur durch antisemitische Schmähungen sondern auch Tätlichkeiten, die bei einem Makkabi-Spieler zum Nasenbeinbruch führten. In Rödelheim wurde das, bis in den Ortsbeirat hinein, als »Dumme-Jungen-Streich« bagatellisiert. Für den Vorsitzenden des Vereins »Makkabi«, der schon häufig solche aggressiven Anfeindungen erleben musste, brachte der Vorfall das Fass zum Überlaufen. Er informierte die Presse. Die Mitglieder von »Courage« legten den Artikel am nächsten Tag an ihrem Stand auf dem Nikolausmarkt aus. Der war zufällig direkt neben dem CDU-Stand; an dem der Vorsitzende des Fußballvereins saß.
Da war was los! Die Jugendlichen kamen zu uns und wollten den Artikel lesen. Der Trainer wollte das nicht. Als die Jungen den Artikel gelesen hatten, sagten sie zu unserer Überraschung: »Korrekt! So stimmt‘s!«

Zwar hatte »Courage« nichts verraten, was nicht schon groß in der Zeitung stand, doch der Verein wurde als »Verräter« an den Pranger gestellt. Dieser Einschüchterungsversuch hätte wohl kaum Erfolg gehabt, doch der größte Sündenfall eines deutschen Vereins scheint zu sein, einen anderen Verein öffentlich zu kritisieren.
Das gilt natürlich so pauschal nicht. Der Vorsitzende des Vereinsrings machte sich zu unserem Anwalt und ließ die Anschuldigungen abprallen. Da mussten die Mitglieder von »Courage« auch ihre eigenen Vorurteile revidieren, denn er war ausgerechnet der Vorsitzende des Schützenvereins.

Die Selbstverpflichtung im Stadtteil gegen Rassismus
Die Erfahrungen lehrten, dass interne Konfliktlösungen oftmals nur dazu dienen, Skandale unter den Teppich zu kehren, um die Fassade des liebenswerten, toleranten Stadtteils aufrecht zu erhalten – bis das Fundament beim nächsten Mal wieder erschüttert wird. Andererseits sollte auch nicht jede Bagatelle öffentlich skandalisiert werden. Das zu entscheiden erfordert Erfahrung und Sensibilität.

Bei der Aufarbeitung der »dunklen Flecken« entstand die Idee einer gemeinsamen, moralischen Selbstverpflichtung auf den Artikel 3 des Grundgesetzes, die eine höhere Verbindlichkeit hat als bloße »gute Vorsätze«.

In der Nachbarschaft und auf den Straßen sammelten die Aktivisten 360 Unterschriften. Die Schirmherrschaft für die Aktion übernahmen Pfrn. Elke Klee, Ortsvorsteher Reinhard Pietsch und der Vereinsvorsitzenden Hans Heinz. Als Erstunterzeichner unterstützten 27 Institutionen, Vereins- oder Partei­vorsitzende sowie »prominente« Rödelheimer den Appell und verpflichteten sich vor sich selbst, bei rassistischen Vorkommnissen im Alltag mutig einzugreifen. Am 16. Januar 2001 stimmte auch der Ortsbeirat einer Unterzeichnung zu.

Es gab eine heftige Diskussion im Stadtteil. Der häufigste Einwand: der Appell sei überflüssig, weil es »bei uns hier keinen Rassismus gibt«. In der Ortsbeiratssitzung wird polemisiert, ob man nun auch keine Blondinenwitze mehr machen dürfe. Nachwuchspolitiker der CDU streiten über den Begriff »blasphemisch«‚ der einem guten Katholiken zwar wichtig ist, wohingegen der Karneval ohne Gotteslästerung allerdings auch keinen Spaß macht.

Ein gezielt geschürtes Missverständnis war die Kritik, die Selbstverpflichtung fordere zur Kontrolle und Denunziation auf. Damit wird Aufklärung und Moral zur Denunziation umgedeutet. Die Initiatoren stellten klar: Ziel ist es, dem Einzelnen Mut zu machen, einzugreifen, nicht nur bei massiven fremdenfeindlichen Angriffen, sondern auch im Alltag, wenn das Lachen auf Kosten einer Minderheit geht.

Die permanenten Sticheleien und Angriffe aus der bürgerlich-rechten Ecke, die sich jahrelang als Meinungsmacher aufspielten, erwiesen sich allmählich als Papier­tiger am virtuellen Stammtisch. Die Selbstverpflichtung dagegen wurde aus gegebenen Anlässen mehrfach wiederholt.

Stadtteil gegen Rassismus – Ein sichtbares Zeichen setzen
Etwa zehn Jahre nach der Aktion »Selbstverpflichtung gegen Rassismus« wurde Ende 2011 die rassistische NSU Mordserie bekannt, sowie Anhaltspunkte über die Verwicklung staatlicher Institutionen ins rechtsextreme Milieu.

Am 17. Januar 2012 beschloss der OBR 7 einstimmig eine Resolution, wie sie auch von vielen Politikern bis zur Kanzlerin in diesen Tagen ähnlich formuliert wurde.
»Und was geschieht denn jetzt damit?«

Die Rödelheimer Bürgerinnen und Bürger nahmen die Aufforderung des OBR ernst, sie setzten ein »sichtbares Zeichen« durch den Zusatz »Stadtteil gegen Rassismus« an dem Straßenschild »Rödelheim«. Bei der feierlichen Montage mit vielen Repräsentanten aus dem Stadtteil, auch Mitglieder der CDU, SPD und »die farbechten/Die Linke« wurden unter anderem Grußadressen der scheidenden Oberbürgermeisterin Petra Roth und ihres Nachfolgers Peter Feldman vorgelesen. Janine Wissler (Die Linke) übernahm die Schirmherrschaft für die Aktion. Der jetzige Oberbürgermeister Peter Feldmann schrieb: »Ich schätze Ihre ­Arbeit sehr, ist sie doch Ausdruck einer starken Stadtgesellschaft, die unabhängig von der Politik für ein friedliches und respektvolles Miteinander eintritt.« Frankfurter Zeitungen berichteten ausführlich von diesem neuen Empfangsschild.

Aber auch gegen das Schild gab es Einwände
Eine Abgeordnete der Grünen (!) monierte, das sei nur Symbolpolitik. Damit votierte sie faktisch dafür, Proteste gegen die Nazi-Morde als Aktenvermerk zu erledigen statt sichtbare Zeichen zu setzen. Welche Lernprozesse durch das Schild angestoßen wurden oder welche Untaten vielleicht verhindert wurden, ist nicht zu sagen. Klar ist auf alle Fälle, dass das Schild ungleich größere Wirkung hat als die Symbolpolitik einer OBR-Resolution, mit der nicht einmal der Vorsitzende etwas anfangen kann und die in den Akten verstaubt wäre, wenn nicht das Schild die Botschaft des OBR weitertragen würde
Herr Zollmann von der CDU schrieb an die Initiatoren, wie schon elf Jahre zuvor, in Rödelheim gebe es keinen Rassismus. Bei einem Pressetermin gefragt, warum es nach seiner Meinung in Rödelheim weniger Rassismus gebe als anderswo, meinte er: »Weil hier schon lange viele Gruppen dagegen aktiv sind.«

Eines Tages war das Schild weg. Wir fragten uns und die Rödelheimer: »Wer hat das Schild geklaut? Rechtsradikale? Ordnungshüter?« Es fand sich beim Gartenamt wieder. Die Dezernentin entschuldigte sich für einen übereifrigen Mitarbeiter. Das Gartenamt putzte das Schild und hängte es wieder auf.

Im Februar 2022 hängt das Straßenschild seit nunmehr zehn Jahren. Es ist eine Art »Wahrzeichen« von Rödelheim geworden. Anek­doten werden erzählt, wie die von einem Bus voller Japaner, der bei einer Stadtbesichtigung am Schild stoppte, um sich vor dem Schild fotografieren zu lassen.

Ein weiterer Einwand gegen das Schild war, es suggeriere, dass wir hier ein besonderes Problem mit Rassismus hätten und deshalb ständiger Streit zwischen Nachbarn herrsche.

Wir sehen die Ausstrahlung des Schildes eher gegenteilig: »Hier in Rödelheim sind wir sensibilisiert gegen rassistische Parolen und gegen die populistischen Töne aus der Mitte der Gesellschaft. Wir wollen im öffentlichen Raum Zeichen setzen gegen Hass und Gewalt sowie gegen Ausgrenzung, Nationalismus und populistische Fremdenfeindlichkeit.«

Das Ortsschild »Stadtteil gegen Rassismus« sollte deshalb auch an anderen Einfahrtsstraßen und in anderen Stadtteilen aufgestellt werden und die entsprechenden Aufkleber überall sichtbar sein.

Ortsschilder strahlen in alle Himmelsrichtungen
Das erste Ortsschild hing schon dreieinhalb Jahre und war weitgehend akzeptiert, als die beteiligten Organisationen daran dachten, weitere Empfangsschilder anzubringen, damit die Botschaft in alle Himmelsrichtungen weist.

Für die Anwohner, Pendler und Besucher ist das Schild zu einer Art Wahr-Zeichen geworden. Viele Bewohner Rödelheims sind stolz auf ihren Stadtteil – ein neuer Lokal­patriotismus, der nicht dumpf in Ausgrenzung gründet, sondern in Offenheit, entwickelt sich. Die Polemik der Meinungsführer ist verstummt. Deshalb war es nun Zeit für weitere Schilder.

2015 beteiligten sich Kinder und Jugendliche bei der Installation weiterer Schilder. Foto: Heiko Lüßmann

Bei der feierlichen Anbringung der Schilder war ein breites Spektrum von Bürgerinnen und »Stadtteilprominenz« anwesend. Besonders erfreulich war, dass die Michael-Ende-Schule einen Aktionstag vorbereitet hatte. Die Schülerinnen und Schüler kamen in einem langen Demonstrationszug von der Schule an die Stadtgrenze, wo das Schild angebracht wurde. Die Kinder freuten sich, dass die Straße für sie gesperrt war. Die Jugendlichen präsentierten ihre Texte und Sketche. Die beiden anderen Schilder wurden von der Jugend-Initiative aus der »raumstation«, bzw. den Teenies aus dem RAuM feierlich angebracht. Die Straßenschilder, die täglich von Tausenden Pendlern gesehen werden, sollten auch ein Zeichen setzen gegen das dreiste Auftreten der rechtsradikalen Pegida-Bewegung und gegen die populistische AfD, aus deren Propagandasumpf die Aggressionen gegen Geflüchtetenunterkünfte wuchsen. Ein spontanes Fest Dies schien uns auch deshalb dringend, weil die erste Gruppe Geflüchteter früher als erwartet in Rödel­heim strandete. So konnten im Oktober 2015 etwa 120 Geflüchtete in eine Unterkunft in Rödelheim einziehen. Von unserer spontanen Initiative bis zum Ortsbeirat wurden sie willkommen geheißen. Das am Abend geplante Fest für die Bewohner des Stadtteils gegen Rassismus wurde kurzerhand zum Willkommensfest für die neuen Nachbarinnen und Nachbarn. Auch das war wieder eine Herausforderung: In kürzester Zeit wurde ein Buffet für 200 Gäste, ein Unterhaltungsprogramm und Begrüßungsansprachen organsisiert. Zum Schluss wurde ausgelassen getanzt – trotz alledem! Aus dieser Veranstaltung heraus folgten über 50 Helferinnen einer Einladung von »Stadtteil gegen Rassismus«. Die daraus entstandene Gruppe »W.i.R.« (Willkommen in Rödelheim) nahm Kontakt zu den Geflüchteten auf und erkundete deren Bedürfnisse. Es entstanden Patenschaften, Sprachtreffs, Umsonst-Flohmärkte, Unterstützung bei Schriftverkehr mit Behörden, eine Fahrradwerkstatt, Hausaufgabenhilfe, Begleitung zu Ämtern und Ärzten, Ausflüge, Spiele, Stadterkundungen und vieles mehr. In eine weitere Unterkunft zogen inzwischen über 100 Frauen mit Kleinkindern.

Proteste gegen die Unterkünfte gab es leider auch in Rödelheim. Die Sozialdezernentin bemühte sich redlich, die hoch schlagenden Wellen bei einer Bürgerveranstaltung zu glätten und wies die üblichen Klischees scharf zurück.

Dabei drohten dann aber auch die Stimmen unterzugehen, die zurecht befürchteten, dass eine Lagerhalle als Notunterkunft für 300 Männer – die meisten mit Kriegstraumata – kaum erträglich und zumutbar sein kann.