Am 12. Juli 2015 starteten die Bauarbeiten durch eine feierliche Veranstaltung mit symbolischem Spatenstich. Der Projektleiter Dr. Armin Kroneisen begrüßte die Besucher, anschließend trug Elke Klee, ev. Pfarrerin i.R., ihre Gedanken zur Geschichte des Mahnmals vor. Es folgten Grußworte von Bürgermeister Olaf Cunitz und der stellv. Ortsvorsteherin Michaela Will. Harry Schnabel, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Frankfurt, hielt eine beeindruckende Rede, anschließend las Rabbiner Julian-Chaim Soussan einen Psalm. Musikalisch untermalt wurde die Veranstaltung mit Violinen-Stücken von Maria Katharina Hackel, die dem Publikum von den Gedenkveranstaltungen am Mahnmal bekannt ist.
Begrüßung durch Dr. Armin Kroneisen
Sehr geehrte Damen und Herren, als Projektleiter des gemeinsamen Vorhabens „Die Rödelheimer Synagoge sichtbar machen“ begrüße ich Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Feier des „Ersten Spatenstichs“. Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Besonders begrüße ich Herrn Bürgermeister Olaf Cunitz, den Bezirksleiter des Grünflächenamtes Herrn Stephan Slachmuylders, die stellvertretende Ortsvorsteherin Frau Michaela Will, die Damen und Herren des Ortsbeirats 7, Herrn Harry Schnabel vom Gemeindevorstand der jüdischen Gemeinde Frankfurt, Herrn Rabbiner Julian-Chaim Soussan von der jüdischen Gemeinde, die Vertreter der evangelischen Cyriakus-Gemeinde und die der katholischen St. Antonius-Gemeinde Rödelheim, den Architekten des Projekts Diplomingenieur und Architekt Horst Günter Kroneisen.
Mit dem ersten Spatenstich beginnen wir heute unser Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Finanzierung ist gesichert. Ein herzliches Dankeschön an die vielen Spender aus der Rödelheimer Bevölkerung und den ortsansässigen Firmen. Besonders zu nennen sind die Deutsche Bank Bausparkassen AG und die Frankfurter Sparkasse 1822. Ein Dankeschön an die beiden Stiftungen, der Stiftung Citoyen, aktiv für Bürgersinn, und der Chaja Stiftung. Der Ortsbeirat unterstützt das Projekt großzügig, ebenfalls die Stadt Frankfurt, vermittelt durch Herrn Bürgermeister Olaf Cunitz.
Ein herzliches Dankeschön auch an Frau Maria Katharina Hackel, die mit vier Musikstücken unsere Feier verschönt. Danke an die jüdische Gemeinde Frankfurt, die uns leckeren koscheren Kuchen mitgebracht hat. Danke an die Kelterei Possmann, die uns mit Apfelwein versorgt. Danke an die vielen Helfer bei der Vorbereitung, heute bei der Durchführung und schließlich beim Aufräumen nach der Feier. Ohne dieses Engagement wäre diese Veranstaltung nicht durchführbar.
Warum soll die Rödelheimer Synagoge wieder sichtbar werden?
Lassen Sie mich ein wenig ausholen. Das Bauwerk wurde 1838 eingeweiht, hundert Jahre später, 1938, geschändet, unbrauchbar gemacht und danach zu Wohnung und Garage umgebaut. 1944 fiel es den Bombenangriffen zum Opfer. Seine bauliche Besonderheit als Wahrzeichen Rödelheims allein schon würde ein Wieder-Sichtbarmachen begründen. Aber es war vor allem letzter Nachfolger vorhergegangener Synagogen hier in Rödelheim und stand für rund 650 Jahre Miteinander von christlichen und jüdischen Einwohnern. Dieses nachbarliche Leben mit seinen Beziehungen zueinander fällt durch zwei Besonderheiten auf: Über diese lange Zeit gab es hier keine Pogrome wie an anderen Orten. Auch mussten die jüdischen Einwohner nicht in einem Ghetto wohnen. Die Geschichte der Juden in Rödelheim beginnt im Jahr 1290. Mit kaiserlichem Erlass wurden 6 Kammerjuden angesiedelt. Sie waren bekanntlich Eigentum des Kaisers. Im Laufe der Jahrhunderte wuchs der Anteil jüdischer Rödelheimer bis zu einem Drittel der Bevölkerung mit über 400 Personen in den Jahren 1800 bis 1845. Diese Steigerung ist im Wesentlichen auf Zuzug von außerhalb zurückzuführen. Die gräflichen Regierungen gingen über die Jahrhunderte etwas toleranter mit jüdischen Einwohnern um als andernorts. Das bedeutet nicht, dass in Rödelheim paradiesische Zustände herrschten. Aus der Geschichte kennen wir auch Reibereien zwischen Christen, Juden und der gräflichen Regierung. Zudem waren die Einwohner Rödelheims, Juden wie Christen, letztlich Leibeigene oder Hörige. In diese Konstellation kann man sich heute kaum noch hineindenken und hineinfühlen. Die vergleichsweise besseren Lebensbedingungen lockten Juden zu einem Zuzug nach Rödelheim. Symptomatisch ist die Bewerbung des Gelehrten Wolff Heidenheim 1799 um seine Umsiedelung von Offenbach hierher mit seiner orientalischen und okzidentalischen Druckerei. Wir sehen, ein nachbarliches Miteinander ist möglich! Aber auch lange Jahre Zusammenleben kann in extrem kurzer Zeit gewaltsam beendet werden.
Die Zahl der jüdischen Einwohner nahm nach 1845 in den folgenden 80 Jahren ab. Judenemanzipation und Gleichstellung brachten neue Freiheiten. Daraufhin siedelten die meisten Rödelheimer Juden nach Frankfurt um und vermieden damit den langen täglichen Anmarsch von hier zu ihrer dortigen Arbeitsstelle, eine Strecke von etwa 5 Kilometern, also eine gute Stunde Fußmarsch. Die letzten Juden, 33 soweit wir bisher wissen, wurden 1938 bis 1945 durch die Nationalsozialisten in den Tod getrieben oder in KZs ermordet. Mit diesen entsetzlichen Geschehen endete die lange Geschichte der jüdischen Gemeinde in Rödelheim.
1979 haben Rödelheimer Bürger und die beiden christlichen Kirchengemeinden auf Anregung der drei evangelischen Pfarrer und unter Leitung von Pfarrer Dippel ein Mahnmal gestalten und aufstellen lassen. Seit dieser Zeit finden hier jährlich zwei Gedenkveranstaltungen statt, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und am Jahrestag der Reichspogromnacht.
Die wieder sichtbare Rödelheimer Synagoge als Sinnbild der langen jüdischen Geschichte in Rödelheim soll zusätzliche Impulse setzen. Was können Schüler, Heranwachsende, Erwachsene aus der Geschichte der Nachbarschaft mit unterschiedlicher Weltanschauung und Lebensweise, aber auch mit ihrem jähen Ende für die heutige Zeit lernen? Dazu gilt es, diesen Ort durch die vorgesehene Gestaltung hervorzuheben, Interesse zu wecken, Informationen zugänglich zu machen und zu Begegnungen anzuregen. So kann intensives Kennen Lernen bei Feiern, Veranstaltungen oder bei gemeinsamem Gebet hier leichter möglich werden.
10 Jahre entwickelte der Heimat- und Geschichtsverein Rödelheim über viele Stufen das heutige Konzept. Doch erst durch die Gestaltung des Architekten H. G. Kroneisen wurde es zur Reife gebracht. Mit diesem Plan haben wir seit 2012 mit Erfolg um finanzielle Unterstützung geworben. Das Projekt wurde dem Ortsbeirat 7 vorgestellt, der es einstimmig zu fördern beschloss. Auch die Rödelheimer Bevölkerung war eingeladen worden, sich mit dem Projekt vertraut zu machen. Die Anwesenden äußerten ihre Zustimmung. In der Folge hat der Heimat- und Geschichtsverein eine Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gruppierungen engagierter Rödelheimer Bürger angestrebt, die seit 1979 hier am Mahnmal Gedenkfeiern durchgeführt haben. Es sind dies die evangelische Cyriakus-Gemeinde mit ihrer Friedensinitiative und RAUM für Kinder und Teenies, die katholische St. Antonius-Gemeinde Rödelheim, die Gruppen Courage gegen Rassismus und Stolpersteine, und der Förderverein der Stadtteilbibliothek Rödelheim.
Mit den Bauarbeiten am gemeinsamen Vorhaben wollen wir heute beginnen. Was lange währte, soll nun endlich vollendet werden.
Gedanken zum Rödelheimer Mahnmal (leicht gekürzt) von Pfrn. i.R. Elke Klee
In der Nachkriegszeit galten diejenigen, die den Finger in die Wunden des Naziregimes halten wollten, noch lange als „Nestbeschmutzer“. In Rödelheim wurde dieses Mahnmal erst 33 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus eingeweiht, aber immerhin schon 17 Jahre vor dem nationalen Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Bürger Rödelheims mit sehr unterschiedlicher Weltanschauung initiierten und finanzierten 1978 dieses Mahnmal, allen voran die drei Pfarrer der Cyriakusgemeinde, gefolgt vom katholischen Pfarrer Norbert Stähler sowie dem damaligen SPD-Vorsitzenden Ernst Weidemann und der DKP.
Die Annahme, dass es in Rödelheim keine alten oder neuen Nazis gäbe, die es noch wagten, ihren Ungeist zu verbreiten, erwies sich als falsch. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand wurde Ablehnung geäußert, sondern sogar in Leserbriefen mit antisemitischem Zungenschlag. Schon wenige Tage nach der feierlichen Einweihung wurde das Mahnmal geschändet. Der Davidsstern und „Juda verrecke“ wurden aufgesprüht, und die zierlichen Figuren am Fries wurden mit einem schweren Hammer traktiert. Wir haben uns damals entschieden, diese Schändung nicht durch Reparaturen zu vertuschen. Sie ist Teil der Erinnerung geworden.
Seit 37 Jahren versammeln wir uns hier, um am 9. November an die schändlichen Pogrome und die folgenden bürokratisch geplanten Verschleppungen und fabrikmäßig organisierten Judenmorde zu erinnern sowie am 27. Januar an die Befreiung des KZ Ausschwitz durch die Rote Armee.
Antifaschistische und antirassistische Gruppen sowie religiöse und kulturelle Institutionen führen darüber hinaus jedes Jahr 5 bis 10 Veranstaltungen zum Nach-Denken durch, früher verbunden mit gemeinsamen Besuchen in verschiedenen Konzentrationslagern. Das alles findet bis heute meist unter dem Schirm und mit Unterstützung der Cyriakusgemeinde statt. So hat sich eine besondere Rödelheimer Gedenkkultur entwickelt. In diesem Sinne sind wir Lokalpatrioten.
Das heißt nicht, dass wir glauben, dieser Ort, der „Auf der Insel“ liegt, sei auch historisch bzw. metaphorisch eine Insel gewesen. Um 1800 waren 30 Prozent der Rödelheimer Juden. Sie hatten zeitweise mehr Freiheiten als im benachbarten Frankfurt, aber gleichberechtigt waren sie nie. Sie mussten Schutzgeld zahlen oder erhielten nur eine Duldung und konnten ausgewiesen werden. Dennoch gab es lange ein Miteinander oder zumindest ein Nebeneinander der Nachbarn. Umso erschreckender ist es, dass auch in Rödelheim die Synagoge in der Pogromnacht angesteckt und geplündert wurde. Es gab auch hier keinen Widerstand dagegen, als die jüdischen Nachbarn, wie anderswo, enteignet, deportiert und ermordet wurden. Für 33 von ihnen sowie für zwei weitere, einen Widerstandskämpfer und einen Homosexuellen, haben wir Stolpersteine gelegt. Aber wir wissen, dass es mehr Rödelheimer Opfer gab.
Die Geschichte lässt sich nicht teilen. Wir können uns nicht auf den helleren Teil beziehen und den dunklen verdrängen. Der wirkt bis heute in der Ausgrenzung und Diskriminierung der neuen Nachbarn weiter (Emigranten, Flüchtlinge, Roma usw.). Doch auch dabei gibt es Lichtblicke von Toleranz, kulturellem Austausch und privaten Beziehungen.
Schon lange kommen Schulklassen oder Konfirmandengruppen an diesen Ort. Oftmals haben sie Kränze und Blumen niedergelegt, die in kurzer Zeit verschwunden waren oder in der Nidda schwammen. Das ist erschreckend – wie manch andere Vorfälle im Alltag, die ich jetzt nicht aufzählen kann.
Das harmonisierende Wunschdenken führt zur Verharmlosung solcher Vorfälle und zur Ausgrenzung der „Nestbeschmutzer“. Wenn sich diese „Normalisierung“ mit nationalistischen und fremdenfeindlichen Parolen vermischt, entsteht ein gefährliches Gebräu, das auch noch den zentralen Begriff der Aufklärung „Freiheit“ missbraucht („Freie Wähler“; „Junge Freiheit“). Dieser Sumpf aus der Mitte der Gesellschaft reicht bis nach Rödelheim.
Auf unserem Mahnmal steht geschrieben: „Wir ließen zu, dass aus unserer Mitte jüdische Bürger in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden“. Dieser schlichte Satz sagt alles: Er gedenkt der Opfer und verweist auf die Täter: Nicht nur die Mörder, die SS-Schergen und Blockwarte sind gemeint, er verweist auch auf die große Mehrheit derer, die weggesehen hat, als die Nachbarn „aus unserer Mitte“ deportiert wurden.
Uns Nachgeborene trifft keine direkte Schuld, aber die Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschieht. Die Lehre aus dem „Wir ließen zu“, kann nur sein: „Wir werden nicht zulassen…“ Dazu gehört nicht nur das Wachhalten der Erinnerung sondern vor allem das Eingreifen in der Gegenwart und die Vermittlung dieses Auftrags an die Jugend.
Besonders deutlich wird dieses „Wir werden nicht zulassen“ bei der Aktion „Stadtteil gegen Rassismus“. Aus einigen Anlässen mit antisemitischem oder rassistischem Hintergrund unterschrieben schon vor 14 Jahren 360 RödelheimerInnen, unter der Schirmherrschaft von Ortsvorsteher Reinhard Pietsch, dem Vereinsringvorsitzenden Hans Heinz und mir selbst als Pfarrerin, eine Willenserklärung zu dem Art.III GG. Sie alle kennen diesen Grundgesetzartikel, doch durch den Handlungsbezug erhält er einen verstärkten Sinn, deshalb lese ich diesen „Rödelheimer Appell“ aus dem Jahre 2001 noch einmal:
„Hiermit versichere ich, dass ich mich einmischen werde, wenn ein Mensch „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt, diskriminiert oder angegriffen wird“.
Seit drei Jahren gibt es nun auch an einer Einfahrt zum Stadtteil das Straßenschild „Stadtteil gegen Rassismus“, das inzwischen akzeptiert und eine Art „Wahrzeichen“ geworden ist. Wir sehen diese Aktion in direktem Zusammenhang mit der Botschaft des Mahnmals und wünschen uns weitere solcher Empfangszeichen an den Straßen.
Die Kirchengemeinden, der Heimat- und Geschichtsverein sowie die Initiativgruppen wollen zu diesem Ort des Gedenkens und Trauerns, aber auch des Fragens und Lernens in Zukunft auch Informationen und Denkanstöße durch elektronische Medien geben, um in zeitgemäßer Form zum Kommunizieren anzuregen. Doch Aufklärung und Hoffnung sollen nicht virtuell bleiben, sondern praktisch werden.
Die Mitglieder am Runden Tisch haben ihre Arbeit auf dem gemeinsamen Flyer so beschrieben:
„Mit der Sichtbarmachung des Grundrisses der Synagoge und der Neugestaltung einer Gedenkstätte mit dem Mahnmal im Zentrum, soll ein Bogen gespannt werden zur ehemaligen jüdischen Gemeinde, die mit ihrer Synagoge Teil des Rödelheimer Lebens war, sowie zur folgenden Zerstörung und Tötung jüdischer Bürger. So kann Geschichte, wenn sie zeigt, wohin Ausgrenzung und Diskriminierung führen, der Gegenwart zur Mahnung werden.“
Rede von Bürgermeister Olaf Cunitz
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich im Namen der Stadt Frankfurt zum ersten Spatenstich zur Sichtbarmachung der früheren Rödelheimer Synagoge und bedanke mich, dass ich die Möglichkeit habe einige Worte an Sie zu richten.
Immer wieder stehen wir vor der Frage, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen, wie wir Geschichte sichtbar machen und wie wir Erinnerung wachhalten. Insbesondere die Erinnerung an die dunkelsten Stunden unserer Geschichte. Hierauf gibt es nicht eine einzige richtige Antwort und schon gar keine, die auf ganz Frankfurt zutreffen würde. Im Gegenteil: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir uns diese Frage immer wieder stellen und sie auch immer wieder neu beantworten. Und jede Generation wird hierzu eigene Antworten finden müssen.
Wir, die wir keine unmittelbare Verantwortung für die in der Vergangenheit verübten Taten tragen, sind aber dafür verantwortlich, wie wir mit der Vergangenheit umgehen, was wir aus der Geschichte lernen und welche Formen einer würdigen Erinnerung wir wählen. In Frankfurt, aber auch hier in Rödelheim haben wir verschiedene Formen des Erinnerns gefunden.
Als Stadt Frankfurt haben wir beispielsweise ein Besuchsprogramm für Kinder und Enkel von jüdischen sowie politisch oder religiös verfolgten ehemaligen Frankfurtern. Also für Nachkommen derer, die in Frankfurt geboren und während des Nationalsozialismus gezwungen wurden, die Stadt zu verlassen. Wir möchten damit an die schreckliche Vergangenheit erinnern – aber auch zeigen, dass diese Menschen bei uns willkommen sind.
Im Herbst werden wir die Erinnerungsstätte an der Europäischen Zentralbank feierlich eröffnen, die von der Stadt Frankfurt in enger Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde dort geschaffen wurde. Sie soll an die historischen Vorgänge erinnern, über sie informieren und das Gedächtnis an die organisierte Ermordung der Juden wach halten. Denn von der früheren Großmarkthalle aus, die in den Komplex integriert wird, wurden mehr als 10.000 jüdische Bürger Frankfurts in die Konzentrationslager deportiert. Die Erinnerungsstätte macht die Rampe zum Keller der Großmarkthalle als den Ort erkennbar, an dem die Deportation der Juden an die Vernichtungsmaschinerie des sogenannten Dritten Reiches organisiert und exekutiert wurde. Denn dieser Ort markiert die Schnittstelle zwischen einer geordneten, sicheren und rechtsstaatlich verfassten bürgerlichen Existenz und der Vernichtung dieser Ordnung. Ein Ort, der den Übergang aufzeigt von der Stadt Goethes, in die Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus.
Ein weiteres Beispiel sind die früheren Adlerwerke im Gallusviertel, wo das KZ „Katzbach“ betrieben wurde. 1.600 Zwangsarbeiter mussten hier unbeschreibliche Qualen erleiden, nur wenige überlebten. Um das Gedenken an das KZ-Außenlager wachzuhalten, findet eine Reihe von zeitgemäßen künstlerischen Auseinandersetzungen zum Thema Zwangsarbeit statt.
Oder der Hochbunker an der Friedberger Anlage: Dort stand seit dem Jahr 1907 eine Synagoge, die in der Pogromnacht 1938 zerstört wurde. Auf ihren Fundamenten mussten 1942 französische Kriegsgefangene den Bunker errichten. Bewusst wollten die Nazis so die noch sichtbare jüdische Geschichte auch baulich auslöschen. Hier soll ein lebendiger Ort des Gedenkens, des Lernens und der Begegnung ermöglicht werden, der die nationalsozialistische Verfolgung in Frankfurt dokumentiert und der Bedeutung der Israelitischen Religionsgesellschaft gewidmet ist.
Im Westend haben wir eine Gedenktafel angebracht, die an den britischen Generalkonsul Smallbones erinnert, der zusammen mit seinen Mitarbeitern Tausenden Juden die Ausreise aus dem Nazi-Deutschland ermöglicht hat. Ein Held, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war.
Stolpersteine wurden in ganz Frankfurt verlegt, auch hier in Rödelheim. Diese Pflastersteine mit einer Messingoberfläche, auf denen die Namen und Daten von Menschen stehen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, werden an den Orten verlegt, wo diese Menschen einst gelebt haben.
Und auch über die Benennung von Straßen und Plätzen wird erinnert; hier in Rödelheim zum Beispiel mit dem Arthur-Stern-Platz. Arthur Stern war ein Rödelheimer. Der jüdische Kaufmann war unter anderem von 1931 bis 1932 Vorsitzender des 1.Rödelheimer Fußballclub 02 e.V. und ein geachteter Bürger im Stadtteil. In der Pogromnacht im November 1938 wurde Stern verhaftet und nach Buchenwald gebracht. Seine Frau Sybilla konnte seine Freilassung wegen seiner herausragenden Taten als Sanitäter im 1. Weltkrieg erwirken und ihm damit die Flucht nach Amerika ermöglichen. Ausdrücklich sollen mit der Benennung sowohl der ehrenamtlichen Verdienste und der gesellschaftlichen Stellung im Stadtteil von Arthur Stern gedacht werden als auch an alle Rödelheimer Flüchtlinge und Verfolgten erinnert werden.
Es gibt also bereits die unterschiedlichsten Orte der Erinnerung. Nun kommt ein weiterer hinzu. Schon seit 1979 erinnert hier ein Mahnmal an die Synagoge, das hier verbleiben wird. Indem der Grundriss der früheren Rödelheimer Synagoge sichtbar gemacht wird, entsteht ein würdiger neuer alter Ort, eine Gedenkstätte. Die Grundfläche der Synagoge wird mit Steinplatten belegt, Betonquader deuten die ehemalige Bestuhlung an und können als Sitzgelegenheiten genutzt werden. Damit wird deutlich, dass die vor über 700 Jahren entstandene jüdische Gemeinde, ein wesentlicher Teil der Rödelheimer Geschichte ist – ebenso wie ihre Zerstörung und die Vertreibung und Ermordung jüdischer Menschen.
Ich danke der Initiative „Synagoge Rödelheim“ und allen Beteiligten im Namen der Stadt Frankfurt für ihr vorbildliches Engagement. Unterstützung kommt vom Heimat- und Geschichtsverein Rödelheim, insbesondere von Dr. Armin Kroneisen, aber auch von vielen Initiativen und Bürgern sowie den die beiden christlichen Kirchengemeinden; finanziert wird es durch viele Spenden, aber auch durch Zuschüsse des Ortsbeirats und der Stadt. Einen großen Dank an die Spenderinnen und Spender.
Es ist gut, dass nun die lange geplanten Bauarbeiten starten können – und die ehemalige Rödelheimer Synagoge wird wieder sichtbar gemacht wird. Es ist eine gelungene Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wie wir Erinnerung wachhalten können.
Das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus lässt uns als Stadt Frankfurt auch nach 70 Jahren nicht unberührt und wird uns niemals unberührt lassen. Es ist uns eine ewige Verpflichtung.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.
Rede von Harry Schnabel, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Sehr geehrte Pfarrerin Klee, sehr geehrter Rabbiner Soussan; ich begrüße Bürgermeister Cunitz, Frau Will, Herrn Dr. Kroneisen, meine Damen und Herren,
ich war absolut sicher, Ihnen als fünfter von fünf Rednern keine Neuigkeiten mehr über das respektable Projekt „Die Rödelheimer Synagoge sichtbar machen“ vermitteln zu können.
Mein Blickwinkel auf das, was sich heute hier ereignet, ergab sich bei der Sichtung von Dokumentationsmaterial bezüglich der Geschichte hessischer Synagogen in Vorbereitung auf den heutigen Tag. Hier taten sich mir Parallel-Ereignisse auf, von denen eines verdient, hier Erwähnung zu finden. Die Synagoge von Groß-Umstadt:
Viele Jahre hatte sich die dortige Israelitische Gemeinde im Odenwald darum bemüht, eine neue Synagoge bauen zu können. Durch den Zuzug jüdischer Familien aus dem Umland war das baufällige Gebäude zu klein geworden. 1874 war es endlich so weit: Der Neubau stand, und der Landesrabbiner nahm die feierliche Einweihung vor. Der Betraum bot 45 Männern Platz. Zwei Nebenräume, die „Schtibl“, dienten als Schulzimmer und wurden für das Morgengebet genutzt. Ein Treppenaufgang führte zur Frauenempore. Über der Eingangstür findet sich noch heute die damals angebrachte Sandsteintafel mit der hebräischen Inschrift: „Wie Ehrfurcht gebietend ist diese Stätte, hier ist nichts anderes als das Haus Gottes, und hier ist die Pforte des Himmels (1. Buch Moses, Kapitel 28).“
Die Synagoge von Groß-Umstadt ist schon lange nicht mehr in Groß Umstadt zu besichtigen. Sie steht jetzt in Neu Anspach. Dort, im Freilichtmuseum Hessenpark, begann 1983 der Wiederaufbau inmitten eines nachgestellten, für Südhessen typischen Dorfs. Stein für Stein war die Synagoge in Groß-Umstadt, wo seit dem 16. Jahrhundert Juden gelebt hatten, abgetragen und in Neu Anspach neu errichtet worden. An der Stelle, an der die Synagoge 64 Jahre hindurch der Jüdischen Gemeinde als Bet-Stätte gedient hatte, steht seit 1985 ein Schild mit der Aufschrift: „Zu Ehren unserer jüdischen Mitbürger und zur Erinnerung an die Synagoge, die 1874 erbaut und am 9. November 1938 durch Rassenwahn entweiht wurde.“
In Groß-Umstadt lässt sich studieren, wie durch das jahrzehntelange Verdrängen und die fehlende Bereitschaft, Erinnerungsarbeit zu leisten, offene Wunden zurückbleiben. Hier dokumentiert sich dieses Versagen am einstigen Standort der Synagoge. Viele Bürgerinnen und Bürger bedauern heute aufrichtig die Verlagerung der Synagoge in den Hessenpark. Die Herauslösung dieses besonderen, vom Schicksal so schwer heimgesuchten Gebäudes aus der Ortsmitte wird als schmerzlicher Verlust empfunden. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung gegen eine Restaurierung aus dem Jahr 1977 gilt als schwarzer Fleck in der Nachkriegsgeschichte der Stadt. Der Bürgermeister begründete dies damals bei einer Stadtverordnetenversammlung so: „Hier gibt es doch keine Juden mehr. Was wollt ihr mit einer Synagoge!“ Aus dem Bedauern über die jahrzehntelange Ignoranz erwuchs im Laufe der Zeit neues Engagement. Inzwischen ist innerhalb der Groß-Umstädter Bürgerschaft eine rege Erinnerungskultur entstanden. Die abgetragene Synagoge ist gegenwärtiger als je zuvor!
Auch in Leipzig fand vor 8 Tagen erstmals seit 1938 wieder ein Schabbat-Gottesdienst am Standort der ehemaligen Großen Synagoge in der Zentralstraße statt – improvisiert aber nachdenklich stimmend.
Es spricht für eine kultivierte, verantwortungsbewusste und entfaltete Bürgergesellschaft, wenn man bereit ist, sich auch mit den Schattenseiten der eigenen Historie auseinander zu setzen. Wir sind dankbar, dass in Rödelheim genau dies seit mehreren Jahren geschieht.
Die Vergangenheit lässt sich nicht wie Staub abschütteln! Die Zeugen der Vergangenheit, seien es überlebende Opfer oder Kulturdenkmäler wie Synagogen, zwingen die Nachgeborenen früher oder später, sich der Verantwortung zu stellen und dem Geschehenen gegenüber eine Haltung einzunehmen. Das Format einer Stadtgesellschaft – eigentlich jeder Gesellschaft – ist in hohem Maße von der Qualität ihres Langzeitgedächtnisses bestimmt. Das Frankfurter Bürgertum hat sich in dieser Hinsicht schon des Öfteren und in wohltuender Weise hervorgetan wie zum Beispiel mit der 2003 entstandenen „Initiative Stolpersteine“. Ausgelöst durch diese Initiative haben in Frankfurt mehr als 1.200 jüdische Opfer des Nationalsozialismus wenigstens Namen und Identität zurückerhalten.
Das Projekt „Die Rödelheimer Synagoge sichtbar machen“ ist – oder zutreffender ausgedrückt wird – ein Stolperstein der besonderen Art. Neben einer Tafel mit einer Auflistung der namentlich bekannten Opfer, stolpert man hier bald auch über einen – den Nationalsozialisten und ihren Schlägertruppen zum Opfer gefallenen heiligen Ort – eben dem einer ehemaligen Synagoge. Einem öffentlichen Raum mit viel Symbolik, um die sich die Projektbeteiligten ganz offensichtlich viele Gedanken gemacht haben müssen.
Um 1930 gab es in Deutschland 2.800 Synagogen. In der Nacht vom 8. auf 9. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten etwa die Hälfte davon. Die andere Hälfte wurde in den folgenden Jahren arisiert, zweckentfremdet oder abgerissen. Einige – wie die Rödelheimer Synagoge – fielen den Luftangriffen der Alliierten zum Opfer. Die Nazis hatten ganze Arbeit geleistet – Synagogen, die als jüdische Gebetshäuser hätten genutzt werden können, gab es bei Kriegsende keine mehr!
Zum jüdischen Neujahrsfest (Rosh Hashana) fanden sich im September 1945 einige wenige heimgekehrte Juden zusammen mit zahlreichen jüdisch-amerikanischen Besatzungssoldaten erstmals wieder in der notdürftig instandgesetzten Frankfurter Westendsynagoge ein. Quasi im Auftrag der amerikanischen Militärregierung gründete sich die Jüdische Gemeinde Frankfurt in 1948 neu. Sie bestand aus etwa 500 Mitgliedern. Die Majorität kam entweder aus Theresienstadt zurück oder – wie meine Eltern – aus dem „Displaced-Persons-Lager“ Zeilsheim – vornehmlich Juden aus Osteuropa.
Heute gibt es in Deutschland wieder ca. 100 Synagogen und etwa 35 Gebetshäuser. Ich wäre heute viel lieber zur Eröffnung einer weiteren Synagoge nach Rödelheim gekommen. Aber leider verfügt die jüdische Gemeinde Frankfurt nicht mehr wie noch vor 1933 über 35.000 Gemeindemitglieder.
Die Frankfurter Gemeinde war mit ihren vielen außergewöhnlichen Persönlichkeiten eine Zierde für die Stadt und durch ihren Facettenreichtum sowie ihre zahlreichen spezifisch wissenschaftlich und sozial ausgerichtete Stiftungen bedeutender Impulsgeber für die gesamte Stadtgesellschaft. Zwar genießt unsere knapp 7.000 Mitglieder zählende Gemeinde heute wieder hohes Ansehen – vom Kahlschlag der Nazi-Herrschaft hat sie sich aber nicht mehr vollständig erholen können – wie auch?
Juden, welche die Rödelheimer Synagoge in würdiger Weise hätten nutzen können, wurden deportiert und größtenteils ermordet.
Groß-Umstadt, Leipzig, Rödelheim und zahlreiche weitere Gemeinden sind Belege für eine Weiterentwicklung der Gedenkkultur – freilich begünstigt durch den größer gewordenen zeitlichen Abstand zum Holocaust.
Eine solche Gedenkkultur wäre in den 60er und 70er Jahren kaum vorstellbar gewesen.
Nur einen Steinwurf von hier entfernt befindet sich die evangelischen Cyriakuskirche. Sie wurde 1943 zerstört und war 1953 schon wieder aufgebaut.
An einer Außenmauer ist eine Namenstafel zum Andenken an die Gefallenen des 1. Weltkriegs angebracht. Im 1. Weltkrieg haben 85.000 jüdische Soldaten treu in der Deutschen Armee gedient. 12.000 von ihnen starben in deutscher Uniform. Ich lasse die Frage offen, warum es bis 2015 gedauert hat, bis man auch den ehemaligen Rödelheimer Juden namentlich gedenkt.
Nun hat es ja auch Jahrzehnte gedauert bis Opfer vom unvorstellbaren Leid des Holocaust berichten konnten. Ungefähr genauso viel Zeit verging, bis in Deutschland lebende Kinder anfingen, ihren Eltern unbequeme Fragen über die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 zu stellen. Hierfür steht insbesondere die „68er Generation“.
Aber auch mutige Menschen wie Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt und Initiator des Frankfurter Auschwitz – Prozesses, haben der zu Verdrängung neigenden Bevölkerung des Nachkriegsdeutschlands mit Fakten, Dokumentationen und mühsamen Nachforschungen klar gemacht: Es gibt für Deutschland nur dann einen Weg zurück in die freiheitlich demokratische Völkergemeinschaft, wenn man sich der Vergangenheit stellt. Das hohe Ansehen, das Deutschland heute in der Welt wieder genießt, ist eng mit der glaubwürdigen Aufarbeitung des Nazi-Terrors verknüpft.
Mit dem Projekt „Die Rödelheimer Synagoge sichtbar machen“ geben Sie zu erkennen: Die Geschichte des Holocaust und der Nazi-Herrschaft ist noch lange nicht auserzählt. Im Namen des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, danke ich allen meinen Vorrednern sowie den Vereinen und Initiativen, die sie vertreten. Sie tragen hierdurch dazu bei, dass sich der Ruf Frankfurts als Stadt mit Geschichtsbewusstsein und Toleranz verfestigt und weniger anfällig für Antisemitismus und Fremdenhass bleibt.
In der Diaspora lebende Juden sind bei allem Bestreben die eigene Kultur zu bewahren für gewöhnlich sehr anpassungsfähig und zeichnen sich dadurch aus gegenüber dem Staat, in dem sie leben, äußerst loyal zu sein. So wird während jüdischer Gottesdienste in Großbritannien bis zum heutigen Tag die Queen genauso selbstverständlich gesegnet wie in den USA der amerikanische Präsident. Angela Merkel hätte es sicher verdient aber so weit sind wir noch nicht.
Dass es vielen in Frankfurt lebenden Juden heute immer noch schwer fällt, Deutschland als ihr Vaterland zu bezeichnen, kann man sicher nachvollziehen. Aber viele können heute sagen: Frankfurt ist meine Heimatstadt! Das ist auch Ihr Verdienst. Ich danke Ihnen.
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Julian-Chaim Soussan